FanFaire
dankt Edition Stemmle AG, Abbeville
Press, und Frau KS Behrens für die Erlaubnis um den Text und die
Fotos zu reproduzieren.
Lebensrausch
und tiesfste Melancholie
in
ENGLISH
- von Hildegard Behrens
Es ist eine
Ehre für mich und eine Herausforderung, zu diesem wunderbaren Bildband
über Leonard Bernstein einleitende Worte zu schreiben. Da ihn viele
Freunde und Zeitgenossen viel länger und vielleicht besser kannten
als ich, will ich mich darauf beschränken, meine eindrucksvollsten
Erinnerungen aus den Jahren unseres gomeinsamen Musizierens niederzuschreiben.
Ich lernte Bernstein 1980 nach einem seiner Konzerte in München beim
Abendessen persönlich kennen. Es war ein glühender Abend, und
als er mich wissen ließ, daß er einen Tristan mit mir plane,
war ich sprachlos vor Entzücken. Zwischen Weihnachen und Neujahr begann
die Arbeit. Es war ein gewaltiges Projekt, die drei Akte auf Januar, April
und November verteilt. Daß ich in diesem Jahr, nämlich sechs
Wochen vor dem dritten Akt, meine Tochter Sara zur Welt bringen würde,
war mir in der Anfangszeit unseres Tristans selbst noch unbekannt.
Die
Livekonzerte im Herkulessaal mit dem von Bernstein sehr geliebten
Orchester des Bayerische Rundfunks wurden gleichzeitig in Rundfunk
und Fernsehen übertragen wie auch für Video und Schallplatte
aufgezeichnet. Wir Sänger standen auf einem hehen Podest hinter
dem Orchester, jeder hatte ein ganzes Bouquet von Mikrofonen vor sich,
und ein bisschen agiert sollte auch werden. Ein großer Erwartungsdruck
lag auf allem und allen, aber es war schnell klar: Je höher dir
Voltage, desto wohler fühlte sich der Maestro. |
die
Probe im Herkulessaal (München) |
Bernstein
hat einmal gesagt:
Wenn
ich Beethoven dirigiere, ist es mir egal, ob ich so dirigiere, wie
Beethoven dirigiert hätte. Wichtig ist, daß ich der Überzeugung
bin, daß das, was ich mache, im Geiste Beethovens ist, selbst
wenn ich wüßte, Beethoven hätte das anders gemacht.
Man ist nicht Sklave eines alten Werkes, sondern auch Schöpfer
von heute! |
Hildegard
Behrens und Peter Hofmann:
Bernsteins Isolde und Tristan |
In
der gleichen atemberaubenden Weise machte Bernstein sich auch den
Tristan zu eigen. Da es Peter Hoffmanns Rollendebüt war, war
des Maestro rührend und mit hochster Aufmerksamkeit bemüht,
ihm dabei über alle Klippen und Abgründe der Partie zu helfen.
Dafür, daß er sich auf diese Weise in der Rollenidentifikation
mit dem Tristan eine gewisse Zurückhaltung auferlegen mußte,
schien er sich zu entschädigen, indem er bei Isolde um so ungehemmter
«aus dem Vollen schöpfte.» Er sang und brummte meine
Kantilenen laut mit, den Blick nach innen gerichtet. Als er vor Isoldes
zentraler Phrase «Er sah mir in die Augen» das Orchester
in einem exzessiven Rallentando - wie mir schien - fast zum Stillstand
brachte, wehrte ich mich meiner Haut und klagte: Lenny,
du läßt mir ja gar nichts mehr übrig für mein
Ritardando! Isolde bin ich, du mußt nun nicht alles sein wollen!
Er war ein «eifernder Gott», und seit diesem ersten Akt
glimmte zwischen uns ein Fünkchen Streitlust. |
Nach
einer der Prober setzte sich Lenny, im weißen Bademantel mit
Zigarettenspitze, an ein Cembalo, das gerade im Wege stand, und machte
einen faszinierenden Brainstorm durch den harmonischen Aufbau der
Tristan-Partitur. Unvergeßlich!
In Wien, München und Bregenz habe ich mit Bernstein seine dritte
Sinfonie, Kaddish, aufgeführt, wobei er gnadenlos mein
Hebraisch korrigerte. Dieses bewegende Stück hatte seine verstorbene
Frau, Felicia Montealegre, mit ihm aus der Taufe gehoben. In New York
hat Lenny mich bei ein paar Benefizgalas am Klavier begleitet, tells
gaben wir seine eigenen Lieder oder auch Marlene Dietrichs Evergreens
aus dem Blauen Engel. Lenny im kessen weißen Tuxedo mit schimmernder
Lurex hose und Lack-Schnailenschuhen, ich im Marlene-Look mit mitternachtsblauem
Frack, Chapeau, Zigarettenspitze und Straß-Stöckelschuhen.
Wir hatten einen Riesenspaß: überhaupt wurden die Feste
gefeiert, wie sie fielen, auch nach einer wunderbaren West Side
Story am Broadway, zu der Lenny Peter Hofmann und mich eingeladen
hatte.
Wenn ich durch die so sehr charakteristischen Fotos dieses Bildbandes
blättere, fallen mir Geschichten aus Bernsteins Leben ein, die
er zu vorgerückter Stunde gerne preisgab. Lebensrausch und tiefste
Melancholie zehrten an der Substanz dieses vulkanischen Temperaments.
Der Raubbau an seiner Natur grub tiefe Furchen in das Urgestein. Ich
erinnere mich, wie er uns in New York erzählte, daß er
dabei war, mit Hilfe eines Ärzteteams das Schlafen wieder zu
erlernen. |
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Bernstein hat
des olympische Feuer, die Flamme der Leidenschaft fur die Musik an die Jugend
weitergegeben wie kaum jemand. Seine Unvoreingenommenheit (there
is no such thing as U- and E- Musik, only good and bad music!),
seine eigenen Kompositionen, seine große Verehrung der Beatles, all
das waren der jungen Generation Beweise seiner Glaubwürdigkeit
und der Jugendlichkeit seines Herzens. Als ich 1997 mit Christoph Eschenbach
in Japan einen Liederabend beim Pacific Festival gab, das Bernstein 1990
für junge Musiker aus aller Welt ins Leben gerufen hatte (und wo er
sich kurz vor seinem Tode noch einmal so wohl und lebendig gefülht
haben soll), gaben wir als eine unserer Zugaben eins seiner Lieder für
Gesang, Klavier und Cello (Dream with me). Der erste Cellist der
Wiener Philharmoniker (Friedrich Dolezal) war nach seinem eigenen Konzert
in einem anderen Auditorium zu uns herübergekommen, um diese Zugabe
mit uns zu machen. Als ich das Stück ankündigte, ging ein jubelnder
Aufschrei durch das junge Publikum. Der Funke. Der Name Bernsteins, hatte
spontan gezündet.
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